Wie ist es möglich, dass das Religiöse in der öffentlichen Sphäre so hartnäckig verwurzelt ist, dass Religion und Politik bei aller seit der Aufklärung unternommenen säkularen Anstrengung derart miteinander vermengt sind? Thierry de Duve konstatiert: Es hätte mehr bedurft, als mit der Französischen Revolution – dem entscheidenden Moment des modernen Säkularismus – die drei christlichen Maximen Glaube, Hoffnung, Liebe in die revolutionären Maximen Liberté, Egalité, Fraternité zu übertragen. Die Behauptung, die Moderne sei eine weltliche, ist schlicht eine (Selbst-)Täuschung.
Um dies zu untermauern, zieht de Duve nicht nur die Thesen Marcel Gauchets über die Religion als Austritt aus der Religion sowie Alain Badious radikale Deutung der Paulus-Figur heran, sondern legt auch eine scharfsinnige Lektüre von Empfängnis, Geburt, Kreuzestod und Auferstehung Christi vor. Ebenso klug wie witzig ist seine Abrechnung mit dem zentralen Problem von Inkarnation, Vaterschaft und Marienkult. Die Erkenntnis der Ungewissheit der Vaterschaft wird zu einem Akt des Glaubens, der eine fundamentale Unsicherheit anerkennt. Den Weg, auf dem das Religiöse überwunden werden kann, sieht de Duve bereits im Christentum selbst angelegt, und zwar wirksamer noch als in seiner weltlichen Übersetzung. Sein Essay möchte einen Ausweg aus der Sackgasse der politischen Konzepte anzeigen, die wir von der Aufklärung übernommen haben: die Möglichkeit, das Religiöse zu tragen und im gleichen Zuge zu verwerfen.