Ich hätte ihn nicht einstellen dürfen. Dabei schien er geeignet, meinen regulären Koch zu vertreten. Schneider hatte sich krankgemeldet, und da es eine langwierige Geschichte zu werden drohte, hatte ich den stämmigen kleinen Mann, der nur gebrochen deutsch sprach, ohne viel Aufhebens eingestellt. Das Geschäft musste schließlich weitergehen, die Gäste waren hungrig.
Oft werden einem ja die komplizierten Beziehungen, die man unterhält und die von einem schwer entzifferbaren Codex begleitet werden, gar nicht klar. Erst wenn die Dinge aus dem Ruder laufen, erkennt man, wie gut zuvor die selbstregulativen Mechanismen griffen: wie Schneider seine Einkäufe organisierte, wie er seine Gehilfen anwies, seine Zutaten komponierte und wie treu er selbst daran interessiert war, das Geschäft voranzutreiben.
Der Aushilfskoch arbeitete vordergründig genauso. Er kaufte selbst ein. Er kochte ganz ausgezeichnet, und man lobte mich sehr für die überraschenden Geschmäcker, die der Hilfskoch Waldemar auf der Zunge meiner Gäste zum Vorschein brachte. Waldemar hatte eine besondere Gabe, die bekannten und bei meinen Gästen beliebten Gerichte auf anfangs unauffällige Weise zu verfeinern. Tatsächlich verdanke ich eine beträchtliche Verbesserung meiner Vermögensverhältnisse diesem in seinem Küchenreich zu lange unbeobachtet waltenden Aushilfskoch Waldemar. – Eigentlich hieß Waldemar gar nicht Waldemar, aber wir konnten seinen Namen nicht aussprechen und fanden zur Belustigung der gesamten Küche, dass Waldemar so ähnlich klang. – Natürlich hatte ich anfangs noch sporadisch auf den neuen Koch geachtet, auf die Sauberkeit etwa, um keine Probleme mit dem Ordnungsamt zu bekommen, auf die Zutaten, die er besorgte, auf seinen Stil. Doch als das Restaurant durch Waldemars subtile Geschmacksmodulationen zu einem Geheimtipp wurde, ließ ich den neuen Mann gewähren und gab ihm die Freiheiten, selbstständig mit seinem Budget umzugehen. Wer hätte das nicht getan in meiner Situation? Muss man denn immer und überall das Grauen fürchten?
Das erste Mal wunderte ich mich beim Coq au vin. Es war gar nicht das Fleisch, sondern der Duft der Soße, der von einer verstörenden Melodie war. Der Coq au vin verschwand seit dem ersten Abend, an dem Waldemar ihn zubereitet hatte, nicht mehr von der Wochenkarte. Als ich nach vierzehn Tagen, – eine Zusatzwoche hatte ich dem Gericht bereits gewährt – den Hahn von der Karte nahm, gab es Proteste unter der Kundschaft, die höflich, aber entschieden forderten, den Coq au vin unbedingt auf der Karte zu belassen. So hatte ich eine Reihe Stammgäste gewonnen, die mindesten einmal pro Woche kamen, um Coq au vin zu essen. Sicher,...
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