West Algerien, Ebene des Cheliff, Juni 1962, zwischen der am 19. März verordneten Feuerpause und dem Referendum über die für den 1. Juli festgesetzte Selbstbestimmung.
Eine Kompanie von Gefechtspionieren. Die nördliche Umzäunung der Lagertürme über dem Fluss: Esel, abgeschirrte Maultiere, von aufgegebenen Bauernhöfen entflohene Pferde traben am roten Ufer, trinken das knapp werdende Wasser, das, so geht das Gerücht, die sterblichen Überreste der Opfer flussaufwärts abgehaltener Standgerichte fortträgt.
Ich bin zweiundzwanzigeinhalb. Zwei Jahre zuvor, im Sommer 1960, während der ersten Tage meiner Einberufung in das 7. Pionierkorps von Grenoble, bin ich geknebelt, gefesselt, in Arrest versetzt, ohne Schnürsenkel, ohne Gürtel, der Rebellion und der Anstiftung zum Ungehorsam angeklagt. Eine Ratte umkreist meine Schlaflosigkeit, ich spreche zu ihr und erwidere an ihrer Stelle.
Mit dem ersten Frost, an den Ufern der Isère, die nun gänzlich zufrieren, vollgestopft mit rosa Le Hénaff-Pastete, üben wir den Bau von Ponton-Brücken.
Mitten im Winter ’61/62 will ich weg aus der Hauptstadt, lasse mich für Algerien einer Pionierkompanie in der Kabylei zuteilen. Erst einmal drei Monate mit Planierraupen eine Trasse aufreißen, ausheben, beschottern – Material vom Steinbruch herkarren, auf der Baustelle entladen, zerkleinern –, kleine Platten aufrillen, eine Straße in das Sidi-Ali-Bounab-Gebirge asphaltieren.
Wir übernachten in Zelten, die wir unter dem Schutz der Artellerie – Halbkettenfahrzeuge – entlang der Baustelle aufreihen, was uns mit voranschreitender Arbeit bis runter nach Tlatet Eddouar führt, wo sich noch immer Selbstverteidigungstruppen formieren – nachts Schüsse, unsere Waffen in den Magazinen.
Im Zentrum der Hauptortschaft: Soldaten jagen eine geistig behinderte Frau mit rot-goldener Kleidung über Hausdächer.
In der Frühsommerhitze komme ich für eine dreimonatige Funkerausbildung runter nach »Tizi-Orly«, dem Militärflughafen von Tizi Ouzou, der Luftwaffenbasis, entlang des Oued Sebaou.
Zurück in meiner Kompanie, trotz meiner Qualifikation als Leitender Funker noch ein Gefreiter, werde ich der Feldpost zugeteilt und zu einer Kompaniemission in das Gebirgsmassiv des Djebel Chambi abgeordnet, und, im schlimmsten Fall – in den Bürgerkrieg – nach Algier.
Am Ende des Winters 1962, von einer Minenräumaktion in der Djurdjurar zurückkommend, werde ich, als ich vom Kommandojeep herabsteige, wo mein Stimmen- und Morsecodetransmitter montiert ist, aus drei politischen Gründen von einem hochgewachsenen Oberst, der eine Gerte gegen seine Stiefel schlägt, festgenommen, ohne Schnürsenkel und Gürtel in Arrest versetzt, für zehn Tage verhört von eben jenem Oberst und zwei, drei Militärwachen, ohne Prozess für drei Monate in einer unter der Küche im Keller gelegenen Zelle in Isolationshaft gesperrt. Tage und Nächte des Zweifels – Wer bin ich, dass ich urteile? –, aber...