Der Anthropologe und Ethnologie Pierre Clastres widmete sich zeit seines Lebens der Genealogie der Gewalt in primitiven Gesellschaften. In einer Reihe bahnbrechender, bislang nicht ins Deutsche übersetzter Essays entwickelt er die These, dass Stammesgesellschaften Gewalt systematisch praktizieren, gerade um zu verhindern, dass in ihrem Inneren das »kalte Monster« des Staates sich erhebt. Weder ist der Krieg hervorgegangen aus der Jagd (Leroi-Gourhan) noch ist er die Folge einer missglückten Handelsbeziehung (Lévi-Strauss). Nein: »Die primitive Gesellschaft ist eine Gesellschaft im permanenten Kriegszustand«, nur durch einen dauernden Schwebezustand der Feindschaft lässt sich jedwede politische Fusion verhindern und sich die Autonomie jeder (Klein-)Gruppe garantieren.
Denkt man diese staatenlose Gesellschaft als »eine Vielzahl von Gruppen, von denen jede jeder anderen gleichgestellt ist, wobei jede einzelne, einer Logik der Fliehkraft folgend, nach einer Ausdehnung ihres Wirkungskreises strebt«, dann muss man den Krieg als das Mittel begreifen, welches das Fortbestehen dieser Logik garantiert, indem er unablässig Verstreuung und Zerstückelung generiert. »Nicht der Krieg ist Effekt von Segmentierung, die Segmentierung ist der Effekt des Krieges.«
Im Kontext nicht endender Kriege bietet das Denken Pierre Clastres heute noch immer einen äußerst fruchtbaren Ansatz zum Verständnis der Ursachen und Motive von Gewalt.