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Karl-Josef Pazzini: Universität weitertreiben
Universität weitertreiben
(S. 145 – 156)

Unbedingt war die Universität nie

Karl-Josef Pazzini

Universität weitertreiben
Thesen und Notizen

PDF, 12 Seiten

Das Folgende sind Notizen, die für das vorliegende Buch zusammen­gestellt, überarbeitet wurden und aus Überlegungen und Gesprächen während der letzten Monate resultieren – noch einmal angetrieben durch die Energie der Proteste der Studentinnen und Studenten.



Für die gegenwärtige Universität und schon die Universität der letzten ca. 40 Jahre gilt:


1. dass übersehen wurde, dass die unbedingte Suche nach Wahrheit, die man nicht haben kann, verbunden werden muss mit Überlegungen, wie sie im Sozialen gestützt und geschützt werden kann;


2. dass die Universität in ihrer Struktur nicht einfach vergrößert werden kann, ohne dass die Idee pervertiert würde;


3. dass nicht ausreichend reflektiert wurde, was eine Universität im Rahmen einer unvollendbaren Demokratie sein könne; 


4. dass die neuen medialen Möglichkeiten und Notwendigkeiten im Wesentlichen nur instrumentell verstanden wurden;


5. dass verdrängt wurde, dass Lehren und Lernen etwas mit Übertragung zu tun hat;


6. dass die Voraussetzung und Förderung von Individualität und Autonomie nicht selbstverständlich in den hergebrachten Formen erstrebenswert ist;


7. dass es offenbar nicht möglich ist, den Prozentsatz von ca. fünf bis zehn Prozent pro Jahrgang, die an Fragen des Forschens in Kunst und Wissenschaft um ihrer selbst und der Disziplinen willen interessiert sind, intentional und planbar zu erhöhen.


8. Es ist also vieles offen.


Ad 1. Unbedingt war die Universität nie. Sie zeichnet sich dadurch aus und ist so lange Universität, wie es ihr gelingt, an einer Idee der unbedingten Suche nach der Wahrheit festzuhalten. An einer Suche festzuhalten gelingt ohne Heroentum nur, wenn man zumindest bei der Suche selber eine lustvolle Spannung erleben kann. Die gibt es nur in einem Hin und Her und Auf und Ab. 


Ohne dass an die Suche Bedingungen gestellt werden, wird es keine Universität geben. Jedenfalls dann nicht, wenn bis zu fünfzig Prozent eines Jahrgangs die Universität besuchen sollen. Das wäre dann viel zu teuer, als dass es sich irgendeine Regierung leisten könnte, an die Ausgaben keine Bedingungen zu knüpfen. 


Wie sollte es auch gelingen, an einem Ort wie in Hamburg ca. 40.000 Studentinnen und Studenten auf bedingungslose Umstände zu verpflichten, sie einzubinden in eine Suche nach der Wahrheit? Die meisten suchen nach der Qualifikation für einen gut bezahlten und sicheren Job, andere versehen diese Suche noch mit einem Überschuss in der Weise, dass sie über ihr eigenes Wohlergehen hinaus noch etwas für andere erzielen wollen. Dieser Altruismus hat oft die Funktion, damit fertig zu werden, dass man nicht bedingungslos suchen, forschen und lehren kann oder will. Altruismus bindet und bezähmt unbearbeitete Schuldgefühle....

  • Fundamentalismus
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Karl-Josef Pazzini

Karl-Josef Pazzini

lehrt Erziehungswissenschaft unter besonderer Berücksichtigung der Didaktik der Ästhetischen Erziehung an der Universität Hamburg und arbeitet als Psychoanalytiker in Berlin und Hamburg. Zudem ist er Gründungsmitglied der Forschungs- und Le[ ]rstelle Kunst – Pädagogik – Psychoanalyse [FuL]. Er arbeitet an den Themenbereichen Bildung vor Bildern, Psychoanalyse und Lehren, psychoanalytisches Setting, unschuldige Kinder, Übertragung und Grenze zwischen Individuum und Gesellschaft.

Weitere Texte von Karl-Josef Pazzini bei DIAPHANES
Unbedingte Universitäten (Hg.): Was passiert?

Der Band versammelt Positionen, die aus ­aktuellen Protestbewegungen agieren oder zu ihnen Stellung beziehen. Positionen, die jüngste Veränderungen des Hochschulwesens beschreiben und reflektieren, auf Gefahren aufmerksam machen, ebenso aber Möglichkeiten aufzeigen und explizite Forderungen stellen. Es sind Stellungnahmen, Bekenntnisse, Positionspapiere, geschrieben von zeitgenössischen Autoren, von Professoren, Studenten, Kollektiven. Stimmen werden laut, die wütend, nachdenklich, pragmatisch, unerbittlich einstehen für die Forderung, sich heute mit der Lage der Universität auseinanderzusetzen.

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