Wenn, Benno Wagner zufolge, Kafkas intimes und pausenloses Zwiegespräch mit Nietzsche bereits seine frühen Schreibversuche maßgeblich informiert, so beschränkt sich der Einsatz dieses Gesprächs keineswegs auf die Fragen der Reproduktion und der Produktivität von Zeichen, Menschen und Werten. Vielmehr interessiert sich Kafka von Beginn an, also noch vor dem Beginn seiner Laufbahn als Unfallversicherungsjurist, für die dem Umwertungs- und Züchtungsprojekt seines Gegenübers inhärenten Gefahren und Risiken. Warburg hat, mit Bezug auf Burckhardt, das Berufsrisiko des Sehers in seiner konstitutiven Schwäche, seiner reinen Empfänglichkeit unter Ausschaltung schützender Se-lektion erkannt (»Die Frage ist, ob der Sehertypus die Erschütterungen seines Berufes aushalten kann«). War Kafkas Berufswahl, wie Wagner nahelegt, von solchen Erwägungen beeinflusst, so wird er nach seinem Eintritt in die Arbeiter-Unfall-Versicherungsanstalt für das Königreich Böhmen in Prag zum Experten für Berufsrisiken aller Art und Zahl, mitsamt deren nicht nur individuellen, sondern auch sozialen und kulturellen Schadensfolgen. In seiner poetologisch gewendeten Diskursanalyse führt Wagner vor, wie Kafkas »Poetik des Unfalls« das Referenzial der Unfallversicherung den tragenden Kategorien und Verfahren von Nietzsches ›gefährlichem Denken‹ unterlegt und wie die Transkriptionen und Proliferationen dieses Denkens im Diskurs der Weltkriegspropaganda in Kafkas einzigartigem Projekt einer ›Kulturversicherung‹ wieder absorbiert werden: indem nämlich Kafka durch seine paradoxogene Anspielungspoetik zentraler Nietzsche’scher Denk- und also Sprachbilder von Medien der Dissoziation in Medien der Assoziation umfunktioniert, in imagologische Rudimente eines transethnischen Sozialvertrags jenseits der Grenzen der Sozialversicherung.