Wenn in der Perspektive dieses Bandes Kafka jeweils mehr zu sehen scheint als Nietzsche, wenn es bisweilen gar den Anschein hat, als sei sein ganzes literarisches Werk nicht zuletzt als eine Reihe von Korrekturen an Nietzsches philosophischer Intervention in das Verhältnis von Schrift und Leben zu lesen, dann ist dieser Eindruck nicht einfach auf eine zeitlich bedingte Unterscheidung zwischen rezipiertem und rezipierendem Autor zurückführen. Vielmehr gilt, wie Josephs Vogls Genealogie des Verhältnisses von Lebensform und Gattungsform verdeutlicht, dass Kafkas Blick auf Nietzsche, wie im Übrigen sein gesamtes literarisches Projekt, ganz wesentlich von seiner unmittelbaren Partizipation an den epochalen Verschiebungen der Bio-Macht im frühen 20. Jahrhundert bestimmt wird.
Vogl zeichnet nach, wie die entscheidenden machttechnologischen Innovationen der neuen Kontrollmacht zugleich den diegetischen Raum der Kafka’schen Romane definieren, wie seine Berufsarbeit im Dienste der staatlichen Lebensverwaltung seine außerdienstlichen Aufzeichnungen jenseits aller bekannten Vertragsverhältnisse grundlegend informiert.
Noch vor jeder expliziten, zitativen, allusiven oder transformativen Bezugnahme auf Nietzsche, so wäre hier zu notieren, unterlaufen Kafkas nächtliche Protokolle durch die in ihnen verzeichnete, »konstitutive Entformung bzw. Deformation« von poetischer Form und Lebensform die maßgeblichen typologischen, topologischen und werttheoretischen Voraussetzungen Nietzsches, lassen sie insbesondere seinen Zarathustra als neuen Don Quichotte erscheinen.