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André Blum: Essen: Vom Lebensmittel zur Leidensquelle
Essen: Vom Lebensmittel zur Leidensquelle
(S. 105 – 124)

André Blum

Essen: Vom Lebensmittel zur Leidensquelle

PDF, 20 Seiten

Die Stoffwechselprogramme der heutigen Menschen wurden vor mehr als 10.000 Jahren, zu einer Zeit der Kargheit, geschrieben. Sie bewirken das Anlegen von Nahrungsspeichern im Körper und eignen sich schlecht für ein Leben im Überfluss – wo eine gegenteilige Programmierung wünschenswert wäre. Heute steht fast überall auf der zivilisierten Welt ein überquellendes Angebot von Lebensmitteln zur Verfügung. Entsprechend wird die Nahrungsaufnahme nicht mehr durch Hunger, sondern durch Fettsucht-fördernde Umgebungsreize geregelt. Die folgenden Fettsucht-fördernden Mechanismen sind für die jetzige Form der Zivilisation angeblich unverzichtbar und deshalb kaum zu eliminieren: die ungesunde Zusammensetzung der Lebensmittel, ihre Produktion im Überfluss, die bedenkliche Art ihrer Verpackung und ihres Transports, ihre penetrante Bewerbung, die Art der Nahrungsaufnahme, die physische Inaktivität, das Suchtverhalten gegenüber der Nahrung, das Bekämpfen von Stress mit Essen. Als Folge davon breitet sich eine Fettsuchtepidemie aus – die Lebensmittel werden zur Leidensquelle. Der einzelne kann sich zwar über die Sachzwänge der Gesellschaft hinwegsetzen und der Fettsucht durch das Befolgen von Ernährungsregeln vorbeugen, aber für die Gesellschaft sind keine überzeugenden Verbesserungen in Sicht.
 

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André Blum

ist emeritierter Professor für Gastroenterologie an der Universität Lausanne. Seine Forschungsschwerpunkte sind Sekretion und Motilität des gesunden und kranken Magens, medizinische Ethik sowie der interdisziplinäre Dialog zwischen Natur- und Geisteswissenschaften.

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In welchem Sinne sind die Künste, sind die Literaturen der Welt Mittel zum Leben im Leben, aber auch Mittel und Medien des Lebens selbst? Kein Zweifel: Literatur bzw. Kunst ist, weil sie mehr ist, als sie ist. Aber muss man dann nicht auch die Frage stellen: Was sie isst? Ist sie denn nicht, was sie isst? Was wäre die Literatur, was wäre die Kunst ohne das, was sie sich auf philosophischer, literarisch-intertextueller, naturgeschichtlicher oder naturwissenschaftlicher Ebene einverleibt, ja in sich hineinstopft? Ein verschiedenste Disziplinen querender Polylog unterschiedlicher Bereiche von Lebenswissen sucht den Weg für neue transdisziplinäre Forschungsfelder zu eröffnen. Die Grundsubstanz Nahrung als elementare Schnittstelle zwischen Kultur und Leben soll zur existentiellen Mitte des Lebens gelangen.

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