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Mathias Grote: Das Patchwork der Mikroben
Das Patchwork der Mikroben
(S. 35 – 51)

Wissen, ca. 1980

Mathias Grote

Das Patchwork der Mikroben
Bio-Technologie jenseits der großen Erzählungen

PDF, 17 Seiten


»Yet living organisms are historical structures: literally creations of history. They ­represent, not a perfect product of engineering but a patchwork of odd sets pieced together when and where opportunities arose.«1 
François Jacob, 1977


»Wissenschaft hierzulande ist verkrampft«, so befand Ingo Rechenberg, Lehrstuhlinhaber an der Technischen Universität Berlin, in der Rückschau auf gute fünfzehn Jahre des Experimentierens, die ihn aus seiner Werkstatt in der Weddinger Ackerstraße über den Tegeler See zu den Solfataren Neapels und schließlich in die marokkanische Wüste geführt hatten. Wie Wissenschaft jenseits der ihm zufolge falschen Dichotomie von »Grundlagenforschung« und »angewandter Forschung« aussehen könnte, »ein Kapitel nicht-alltäglicher Wissenschaft« locker dargestellt – darauf zielte Rechenbergs 1994 unter dem doch wenig verspielten Titel Photobiologische Wasserstoffproduktion in der Sahara erschienene Monografie ab (Abb. 1).2 Kerngedanke war die Produktion von Wasserstoff durch eigens isolierte Mikroorganismen in bionisch imitierter Symbiose und das bedeutete in der praktischen Ausführung: In Rechenbergs Bioreaktor setzten Algen Lichtenergie in Biomasse um, von der sich Bakterien nähren, deren Abfallprodukt Wasserstoff dem Menschen nützen sollte.


Rechenbergs bioenergetisches Treiben, das in den siebziger Jahren begann und 1994 mit der Publikation seinen Abschluss fand, ist ein guter Ausgangspunkt, um das zu skizzieren, was man vielleicht die Mikro- und Metabiologien um 1980 nennen könnte. Dies waren Diskurse, in denen die symbiotische Kompetenz insbesondere kleiner Lebensformen sowie ihre Rolle in Ökologie und Evolution in den Vordergrund rückten. Daraus ergibt sich nicht nur ein Baustein zu der noch zu schreibenden Geschichte der ›guten Mikroben‹, oder, um einen Aspekt dieses Topos zeitgenössisch auszudrücken, der Schwarmintelligenz des Kleinen, sondern insbesondere ein differenzierterer Blick auf das Spektrum dessen, was Biotechnologie um 1980 auch umfasste. Neben der viel diskutierten Kommerzialisierung biologischer Wissensproduktion war dies die Vision einer anderen, besseren sozialen und technologischen Zukunft, in welcher die Fertigkeiten des ­kleinen Lebens als eine besondere Form der Technologie eine wichtige Rolle spielen ­sollten. Möglicherweise existierte parallel zur Mikrobe auch eine Lebensform in der Wissenschaft, ein Typus Forscher, der sich nicht in die bekannten Schubladen der Biotech-Historiographie einordnen lässt. Rechenberg jedenfalls vereinte spielend diverse Rollen. Vielleicht lebte er zwischen diesen verschiedenen Milieus mit ihren scheinbaren Widersprüchen in den achtziger Jahren das, was Jean-François Lyotard die »Wissenschaft in ihrer alltäglichen Existenz, als Tätigkeit von einigen Millionen minoritäre[n] Forschern« nannte – weder Entrepreneur noch Grundlagenforscher oder gar Amateur, im Beamtenstatus und trotzdem in der Wüste, Weltenbummler, Aussteller auf der Hannover-Messe wie im Schloss Charlottenburg, einer besseren, anderen Technologie auf der Spur, die es mithilfe unscheinbarer Mikroben zu...

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Mathias Grote

ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Wissenschaftsgeschichte der Humboldt-Universität zu Berlin. Nach einer Promotion in einem molekular biologischen Labor zog es ihn in die Wissenschaftsgeschichte, wo er sich damit befasste, was die rezenten Lebenswissenschaften jenseits der Genetik ausgemacht haben könnte. In seinem gegenwärtigen Forschungsvorhaben geht er den Rhythmen der Wissenschaftsentwicklung zwischen Innovation und Kontinuität nach, und damit auch der Frage, wie das Wissen der Naturwissenschaften altert.
Nils Güttler (Hg.), Margarete Pratschke (Hg.), ...: Nach Feierabend 2016

Ob Medien, Technik, Bilder, Körper oder Ökologie: Was die Geistes- und Kulturwissenschaften heute bewegt, gewinnt bereits in den frühen 1980er Jahren an Aktualität. In den Blick gerät ein Jahrzehnt, in dem sich Medien- und Technikrealitäten in den westlichen Gesellschaften spürbar wandelten und das Versprechen einer ›Wissensgesellschaft‹ in greifbare Nähe rückte. In die Karriere des »Wissens« um 1980 mischten sich historisch spezifische Erfahrungen und Zukunftsversprechen, politische Auseinandersetzungen und soziale Visionen – eine Konstellation, deren Gefüge sich inzwischen verschoben hat oder deren Bedeutung schlicht in Vergessenheit geriet.
Die aktuelle Ausgabe von »Nach Feierabend« widmet sich dieser Konstellation, aus der auch die neuere wissenshistorische Forschung hervorgegangen ist. Wie hängt das heutige Theorieangebot mit den Lebenswelten der achtziger Jahre zusammen? Wie viel bleibt von den visionären Entwürfen der damaligen Zeit übrig, wenn man sie an den historischen Problemhorizont zurückbindet? Und nicht zuletzt: Was blieb auf der Strecke?

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