Sehr geehrte Damen und Herren!
Gestatten Sie mir eine kurze Vorbemerkung, um Ihnen1 zu erklären, was ich eigentlich mache. Ich bin Medienwissenschaftler. Aber es ist nicht sehr klar, was eigentlich Medienwissenschaft ist. Tatsächlich handelt es sich wohl weniger um ein Fach als um eine Art Bewegung oder ein vielleicht ein Paradigma. Gesprächsweise versucht man als Medienwissenschaftler darum oft disziplinäre Anhaltspunkte zu geben, etwa: »Ja, es ist so etwas wie Philosophie, aber…«, »ja, es ist so etwas wie Wissenschaftsgeschichte, aber…«, »ja, es hat auch was mit Film oder Literatur, mit Bildern oder dem Internet zu tun, aber…«, ganz nach der akademischen Herkunft des Gesprächspartners. Sie mögen jetzt denken, dass sich das nach einer Wissenschaft für »Alle und Keinen« (Nietzsche) anhört und haben damit wahrscheinlich sogar recht. Ich möchte aber zwei gängige Vorurteile ausräumen. Das erste, dass es sich bei Medienwissenschaft um Publizistik bzw. empirische Sozialforschung handelt; das zweite, dass es um Film- und Fernsehwissenschaft geht. Beides sind wohl Erscheinungsformen von Medienwissenschaft. Die Publizistik entstand Anfang des 20. Jahrhunderts aus der Wirtschaftswissenschaft heraus und feierte große Erfolge während des Nationalsozialismus und in den Jahrzehnten danach. (Über die Gründe dafür möchte ich hier nicht sprechen.) Die Methoden dieser Wissenschaft sind quantitativ, mit einer Orientierung in Richtung Soziologie und Politikwissenschaften. Sie sind eher gegenwartsbezogen. Ihr Verständnis von Theorie ist, grob gesagt: Theorie ist Systematisierung von Forschungsabläufen. Die Film- und Fernsehwissenschaft entstand nach 1968 aus einer Krise des Wissenschaftsverständnisses heraus. Durch die Kopplung von Ästhetik, Technik und Ideologiekritik, aber auch im Hinblick auf medienpraktische und medienaktivistische Arbeit, entdeckte sie das Politische des Alltags und der Popkultur und erhob bislang nicht-reputierte Phänomene in den Rang ernst zu nehmender wissenschaftlicher Gegenstände. Ihre Methoden sind hermeneutisch-werkorientiert bzw. philologisch, psychoanalytisch, feministisch oder sozialgeschichtlich inspiriert.
Mit beiden Wissenschaften habe ich nichts zu tun. Was ich mache, ist eine Form von Medienwissenschaft, die in den 1980er Jahren entstanden ist und sich als historische Epistemologie versteht. Einfach gesagt, geht es um den Zusammenhang von Medien und Wissen. Etwas ausführlicher formuliert, um die Frage, wie Symboliken, Apparate, Institutionen und Praktiken an der Konstitution, Zirkulation, Verarbeitung und Speicherung von Wissen beteiligt sind. Die Sache wird dadurch freilich einigermaßen problematisch: denn einerseits kann der Gegenstandsbereich kaum eingeschränkt werden, weil ja jedes Wissen vermittelt ist und es wahrscheinlich nichts gibt, was nicht auch als Medium untersucht werden könnte. Andererseits ist doch sehr unklar, wie das methodisch zu bewerkstelligen sein soll. Wenn man...