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Johan Willner: Korporatisierung
Korporatisierung
(S. 159 – 164)

Johan Willner

Korporatisierung

Übersetzt von Vera Kaulbarsch

PDF, 6 Seiten

Einleitung

Mit einer Universität ist eine Gemeinschaft von Lehrenden und Wissenschaftlern (universitas magistrorum et scholarium) gemeint, die Lehre und Forschung in sich vereint und von Kollegialität*, Autonomie und akademischer Freiheit geprägt ist.1

Im Moment werden jedoch in Universitäten in Europa und den USA Umstrukturierungen vorangetrieben, die sich an angeblich überlegenen, wirklichen oder imaginierten privatwirtschaftlichen Methoden orientieren (↑ Ranking). Dieser Prozess wird im Folgenden als corporatisation bezeichnet, wurde aber auch bereits als marketisation beschrieben oder als eine Form des New Public Management. Details wie Studiengebühren oder die Beziehung zwischen corporatisation und dem ↑ Bologna-Prozess unterscheiden sich von Land zu Land, aber es dominieren die gemeinsamen Elemente.

Symptome der corporatisation

Finanzielle Sparmaßnahmen

Einsparungen bei den Universitäten sind nicht notwendigerweise mit corporatisation gleichzusetzen, Sparmaßnahmen werden aber als Begründungen für Studiengebühren, ökonomische Belohnungs- und Strafmaßnahmen und starke Führungspersönlichkeiten (↑ Elite) angeführt.

Kürzungen im öffentlichen Sektor werden häufig in wirtschaftlichen Krisenzeiten implementiert, obwohl niedrigere Ausgaben zu noch höherer Arbeitslosigkeit führen. Es ist allgemein bekannt, dass dies tendenziell zu einer Erhöhung des Haushaltsdefizits führt, was als eine Rechtfertigung für weitere Kürzungen und strukturelle Reformen genutzt werden kann.


Marktorientierung und die Rhetorik des Marktes

Regierungen bevorzugen für gewöhnlich Personen, die für die Privatwirtschaft nützlich sind, wie in Großbritannien, wo es Pläne gibt, alle öffentlichen Mittel für die Geisteswissenschaften abzuschaffen. Die Förderung von Forschung hängt in den meisten Ländern vom privaten Sektor sowie von der EU und den Regierungsbehörden ab, die Innovationen und Patente unterstützen. Somit ist auch in den Naturwissenschaften die Grundlagenforschung gefährdet.

Studenten werden typischerweise als »Konsumenten« (↑ Leistungspunkte/ECTS) bezeichnet, wobei Berufsbezogenheit die Idee einer Bildungsuniversität (dt. im Original) ersetzt (↑ Austauschbarkeit). Trotz einer solchen Rhetorik haben die Prioritäten der Regierung einen starken Einfluss auf die Wahlmöglichkeiten des »Konsumenten«. Dennoch können die Universitäten auch als Subunternehmen funktionieren wie in Finnland (↑ Employability). Ein Regierungsplan führt die angeforderte Zahl der Abschlüsse auf, die im Austausch für Staatsgelder produziert werden soll. Diese Prozedur erinnert eher an sowjetische Planwirtschaft als an einen freien Markt und lässt ernsthafte Bedenken über Qualitätsfragen aufkommen.


Managerialismus

Vizekanzler und Dekane waren früher gewählte Repräsentanten einer Fakultät, die als Vorstand für eine Reihe von Kollegen fungierten, die ehemalige oder zukünftige Inhaber dieser Position waren (↑ Department). Nun werden sie immer mehr zu Geschäftsführern umfunktioniert und diejenigen, die sie früher repräsentiert haben, werden zu entbehrlichen Untergebenen. Kollegialität und auf Konsens basierende Entscheidungsfindung werden von den Reformern als altmodische Hürden angesehen, die dem downsizing und den Umstrukturierungen, die auf ökonomische Nützlichkeit und eine höhere Fluktuation von Studenten abzielen (↑ Globalisierung), im Wege stehen.

Eine Gemeinschaft aus hochausgebildeten Spezialisten muss jedoch auf der Grundlage von Kooperation und Vertrauen organisiert sein. Ein Vollzeitmanager der Akademiker mit überlegenem Wissen als Untergebene behandelt, wird zum Gespött werden (eine Unannehmlichkeit, die zusätzlich noch eine großzügige Entlohnung nötig macht). Es scheint, dass die Reformer die Tatsache nicht mitbekommen haben, dass wissensbasierte Firmen aus dem Privatsektor oft eher kooperativ als hierarchisch funktionieren.

In der Praxis heißt Managerialismus oft zunehmende Bürokratie. Zum Beispiel bedeutet die Entscheidungsmacht über individuelle Löhne, dass komplexe Prozeduren zur ↑ Evaluation von Leistung benötigt werden. In Finnland sollen Akademiker zusätzlich jede Arbeitsstunde melden. Eine solche Buchführung hat sich für das Monitoring als nutzlos herausgestellt und ist auf zu viel passiven Widerstand gestoßen, aber ein neues Abrechnungssystem verlangt, dass eine Anzahl von Arbeitsstunden eingespeist wird. Das System wird nun mit bedeutungslosen Zahlen gefüttert, nur um es am Laufen zu halten.


Zuckerbrot und Peitsche

Ökonomische Anreize können individualisierte Lohnsetzung bedeuten, aber auch eine leistungsbezogene Universitätsfinanzierung, die von studentischer Fluktuation, Publikationen (↑ Peer review) und der Zahl der Abschlüsse in Relation zur Planung abhängen. Die Universitäten können zusätzlich intern diese Kriterien anwenden.

Leistungsbezogene Belohnungen und Bestrafungen spielen eine zentrale Rolle in der sogenannten Agenturtheorie, die widerstreitende Interessen bei asymmetrischer Informationslage analysiert. Dieser Ansatz abstrahiert von intrinsischer Motivation und geht von absoluter ökonomischer Nutzenmaximierung aus, da er hauptsächlich bei Geschäftsführern angewendet wird. Das New Public Management wurde teilweise durch die Neue Politische Ökonomie (Public Choice) und durch die Chicagoer Schule beeinflusst, welche diese Annahme auf alle möglichen Arten von Individuen in all ihren sozialen Rollen ausbreitet. Anzunehmen, dass Akademiker nur an Einkommen und einem einfachen Leben interessiert sind, hilft aber kaum dabei, die Errungenschaften der deutschen Bildungsuniversität* zu erklären, die bis zur Nazizeit weltweit führend war, oder die Vorzüge von einer traditionalistischen Institution wie der Universität Cambridge.


Erosion von Autonomie und akademischer Freiheit

Universitäten dazu zu zwingen, corporatisation einzuführen, ist an sich unvereinbar mit ihrer Autonomie. Die Autonomie wird jedoch auch durch einen höheren Anteil von externer Finanzierung erodiert, auf Kosten von nicht zweckgebundenen öffentlichen Geldern, da die Entscheidungsmacht über Forschungsvorhaben dann auf Außenstehende übertragen wird. Außerdem bestehen kommerzielle Sponsoren oft auf geistigem Eigentumsrecht, was eine Verbreitung von Forschungsergebnissen durch die Lehre und Publikationen beeinträchtigen kann.

Die Freiheit, kontroverse Forschungsschwerpunkte zu wählen und Forschung auf lange Sicht zu planen, verlangt den Schutz des Arbeitsplatzes, das heißt eine unbefristete Stelle (tenure). Die tatsächliche Bedeutung von Flexibilität liegt jedoch darin, die Befugnis darüber zu erhalten, ökonomische Nützlichkeit und Fluktuation der Studenten zu priorisieren und somit Menschen zu entlassen. Das System der tenure wird aber auch durch die Erwartung von zukünftigen Kürzungen geschwächt und durch den höheren Anteil an externer Finanzierung. Es ist wahrscheinlich, dass ein harter Führungsstil und eine unsichere Arbeitssituation eher Opportunismus und Angst hervorrufen und nicht der Wahrheitsfindung dienen. Es scheint erneut eher so zu sein, dass die Rhetorik der Effizienz das Ziel der Kontrollausübung verschleiert.


Die Abkoppelung der Lehre von der Forschung

Die Universität von Phoenix in den USA, die eine profitorientierte Institution mit 200 Campussen und ohne Forschung und eigenen Lehrstühlen ist und wo der Großteil der Lehre von Teilzeitangestellten mit Lehraufträgen ausgeführt wird, ist, wenigstens zum jetzigen Zeitpunkt, ein extremes Beispiel. Studenten werden jedoch immer mehr von Lehrbeauftragten ohne Forschungsvorhaben unterrichtet (↑ Lehrauftrag), selbst in amerikanischen Ivy-League Universitäten. In der Forschung gibt es ebenfalls eine Veränderung hin zu befristeten Kooperationen, weil die Professoren riskieren, zu bloßen »Leitern« mit hauptsächlich administrativen Aufgaben zu werden. Die Reformanstrengungen generieren aus sich selbst eine enorme Anzahl an administrativen Pflichten, aber die Anforderung auch Drittmittel für die befristeten Forscher aufzutreiben, ist ebenfalls extrem zeitaufwändig.

Die Wurzeln der corporatisation

Die Rhetorik, die sich gegen die traditionelle Universität richtet, ist ein teilweise neoliberales und teilweise populistisches Gemisch an Anschuldigungen, diese wäre altmodisch, ineffizient und nutzlos, laut Formulierungen von Politikern, Think Tanks und Unternehmensführern.

Der Reformprozess begann in den USA und Großbritannien, aber es ist weniger bekannt, dass seine Wurzeln teilweise ideologischer Natur sind. Die Bürgerrechtsbewegung und die Proteste gegen den Vietnamkrieg in den USA in den sechziger Jahren zogen eine politische Reaktion nach sich. Es wurde gesagt, die Universitäten seien von »Radikalen mit Lehrstühlen« bevölkert und es gab eine weit um sich greifende Angst vor dem revolutionären Potential eines gebildeten Proletariats. Dies führte zu reduzierter Finanzierung. Die Universitäten waren auch innerhalb der Thatcher-Regierung unbeliebt, da sie der Ansicht war, diese würden den Verstand der Studenten mit ihrer ablehnenden Haltung gegenüber der freien Marktwirtschaft vergiften. Die Universitäten wurden angegriffen, als der Thatcherismus sich anschließend auf andere Länder ausdehnte.

Sofern die Universitätsreformen überhaupt irgendeine intellektuelle Fundierung haben, so besteht diese hauptsächlich aus Ideen, die hinter dem New Public Management stehen, nämlich der Chicagoer Schule und der Neuen Politischen Ökonomie, oder aus schlecht verdauter Agenturtheorie. Aber der universitäre Sektor ist auch vom sogenannten Baumol-Paradox einer Kostenkrise inmitten steigenden Wohlstands betroffen. Dieses Paradox erklärt sich durch die Tatsache, dass höhere Produktivität in industrieller Produktion und anderen Tätigkeiten, die rationalisierbar sind, zur Ursache dafür wird, dass andere Tätigkeiten, wie zum Beispiel die darstellenden Künste, Bildung und Forschung, im Vergleich teurer werden (↑ Konzerte, Brandenburgische). Die sozialen Kosten für das Halten einer ↑ Vorlesung (oder das Spielen von Musik mit Instrumenten, die sich seit Jahrhunderten nicht verändert haben!) steigen immer mehr an im Vergleich zu der Herstellung eines Mobiltelefons. Den Anteil dieser Tätigkeiten am BIP konstant zu halten und denjenigen, die diese ausführen, anständige Löhne zu zahlen, verlangt ständig ansteigende Steuersätze. Das scheint darauf hinzudeuten, dass Marktwirtschaften die Opfer ihres eigenen Erfolgs werden: Jene Teile der Gesellschaft, die den Markt ökonomisch kompatibel mit der Zivilisation gemacht haben, wie wir sie kennen, werden untergraben.

Wohin wird corporatisation führen?

Corporatisation kann die Lehre von der Forschung abkoppeln und bedroht Kollegialität, Autonomie und die akademische Freiheit, die die herausragenden Merkmale einer Universität darstellen. Das bedeutet, dass Universitäten zu Nicht-Universitäten zu werden drohen (↑ Universität, unsichtbare).

Managerhierarchien und Kontrolle erinnern jedoch eher an das Militär oder an altmodische Fabriken als an moderne, wissensbasierte Firmen aus der Privatwirtschaft. Kreatives Denken wird mit Machthierarchien und der Androhung von Arbeitslosigkeit nicht gefördert. Darüber hinaus wird nichts damit gewonnen, Angestellte mit intrinsischer Motivation Zuckerbrot und Peitsche auszusetzen, wenn sie schon so viel arbeiten, wie sie können. Ihre intrinsische Motivation kann aber erschöpft werden. Was die Anwendung des Prinzips von Zuckerbrot und Peitsche auf Institute oder ihre Fachbereiche, Fakultäten und Departments angeht, so führt die Koppelung der Finanzierung an die Fluktuation der Studenten wahrscheinlich zu sinkender Qualität. Akademiker zu zwingen, Bürokraten zu werden und Studenten einem lehrenden Prekariat ohne Forschungsmöglichkeiten auszusetzen, könnte die gleiche Folge haben.

Corporatisation ist eine sinnlose und destruktive Antwort auf eine Entwicklung, die dazu führt, dass Lehre und Forschung vergleichsweise teurer werden. Bei den Reformen scheint es demnach eher um Kontrolle als um Vernunft zu gehen: Universitäten sollen davon abgehalten werden, zur Brutstätte sozialer Unruhen zu werden. Ökonomisch vernünftig wäre es, wenn die Geschäftswelt geeignete Besonderheiten von den Universitäten übernehmen würde, und nicht nur umgekehrt. Zum Beispiel sind Universitäten (nicht immer, aber im besten Fall) in der Lage, kritisches Denken zu fördern (↑ Bildung, kritische). Intrinsische Motivation erstarkt bei einem sicheren Arbeitsplatz und unabhängigem, sinnvollem Arbeiten. Es scheint, dass Regierungen und Unternehmensführer Angst vor einer Seuche haben, die die internationale Wettbewerbsfähigkeit gefährdet.

Das Baumol-Paradox trifft auch auf viele andere arbeitsintensive Tätigkeiten im öffentlichen und privaten Sektor zu, insbesondere auf Forschung und Entwicklung. Dieser Mechanismus macht es für eine Marktwirtschaft nicht nur immer schwerer, sich das Dasein als eine zivilisierte Gesellschaft zu leisten, sondern es legt auch nahe, dass ein solches System auf Stagnation und soziale Unruhen zusteuern könnte.

  • Institution
  • Universität
  • Bologna-Prozess
  • Ökonomisierung

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Johan Willner

ist seit 1988 Professor für Wirtschaft an der Åbo Akademi University. Zwischen 1989 und 2010 war er mehrmals Visiting Fellow an der University of Warwick, Coventry. Außerdem ist er Gründungsmitglied des European Network on Industrial Policy (EUNIP). Er publiziert regelmäßig in Annals of Public and Cooperative Economics, American Economic Review und Empirica.

Unbedingte Universitäten (Hg.): Bologna-Bestiarium

Unbedingte Universitäten (Hg.)

Bologna-Bestiarium

Broschur, 344 Seiten

PDF, 344 Seiten

»ECTS-Punkte«, »employability«, »Vorlesung« – diese und viele weitere Begriffe sind durch die Bologna-Reformen in Umlauf geraten oder neu bestimmt worden und haben dabei für Unruhe gesorgt. Die Universität ist dadurch nicht abgeschafft, aber dem Sprechen in ihr werden immer engere Grenzen gesetzt. Anfangs fremd und beunruhigend, fügen sich die Begrifflichkeiten inzwischen nicht nur in den alltäglichen Verwaltungsjargon, sondern auch in den universitären Diskurs überhaupt unproblematisch ein.

Das Bologna-Bestiarium versteht sich als ein sprechpolitischer Einschnitt, durch den diese Begriffe in die Krise gebracht und damit in ihrer Radikalität sichtbar gemacht werden sollen. In der Auseinandersetzung mit den scheinbar gezähmten Wortbestien setzen Student_innen, Dozent_innen, Professor_innen und Künstler_innen deren Wildheit wieder frei. Die Definitionsmacht wird an die Sprecher_innen in der Universität zurückgegeben und Wissenschaft als widerständig begriffen.

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