Auf ein Beispiel zu verzichten, kann eine souveräne Entscheidung sein. Friedrich Schleiermachers Über die Religion (1800) steht in diesem Spannungsfeld von Exemplarität und Autorisierung. Religiöse Rhetorik hat es vornehmlich mit der Legitimation von Nachfolgern zu tun. Das Beispiel muss stets ein Vorbild in Szene setzen, das nachgeahmt oder dem nachgefolgt werden soll. Schleiermacher ergänzt das Nachfolgekonzept der imitatio christi – ein Vorbild für potentiell unendliche Nachfolger –, durch ein Parallelmodell. Um dieses Programm zu rechtfertigen, führt er zunächst Spinoza als singuläres Beispiel für den religiösen Philosophen ein, um ihn später mit Novalis zu kontrastieren, der ein ebensolches Beispiel für den frommen Künstler abgeben soll. In dieser Parallele entsteht eine Ähnlichkeit, die nicht mehr einem strengen Gattungsgesetz, sondern nur noch dem common sense unterworfen ist. Die Rhetorik von Schleiermachers Beispielgebrauch zeigt sich in der Durchstreichung des Beispiels als eines einfach vorliegenden oder belegbaren Faktums und der Affirmation einer unbestimmten Ähnlichkeit im Bezug zum Adressaten. Vielleicht zählt diese Operation zu den Ursprüngen rezeptionsästhetischen Denkens?