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Armin Schäfer: Das literarische Beispiel im psychiatrischen Diskurs
Das literarische Beispiel im psychiatrischen Diskurs
(S. 149 – 173)

Armin Schäfer

Das literarische Beispiel im psychiatrischen Diskurs

PDF, 25 Seiten

Welcher Status wird literarischen Beispielen in Folge der methodologischen Neubestimmung der wissenschaftlichen Psychopathologie zugewiesen, die sich im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts streng zur Beobachtung und zum Verzicht auf Hypothesen und Theorien verpflichtet? Während die klinische Falldarstellung stark aufgewertet wird, kommt Beispielen aus der Literatur zunächst einmal nur ein geringer Erkenntniswert zu. Sie dienen in Lehrbüchern eher dazu, den Diskurs an den literarischen Kanon anzuschließen, um die Disziplin zu nobilitieren. Das ändert sich erst mit Karl Jaspers Schrift über den Eifersuchtswahn (1910), die ein Krankheitsbild beschreibt, das sich nosologischen Bestimmungen gänzlich entzieht und die Individualität der Erkrankung in den Mittelpunkt rückt. Nachdem allgemeine Nosologie und individueller Fall, Krankheit und Patient nicht länger zwei divergenten epistemologischen Niveaus zugeordnet sind, kann das Beispiel ein bis dahin unbekanntes ›Potential‹ entfalten und die Literatur einen Status im psychopathologischen Wissen erlangen.

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Armin Schäfer

ist Professor für Neuere deutsche Literaturwissenschaft und Geschichte der Medienkulturen an der FernUniversität in Hagen. Er war zuvor Privatdozent für Neuere Deutsche Literaturwissenschaft an der Universität Erfurt und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Literatur und Kulturforschung in Berlin und am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln. Er war außerdem Mitglied der Forschungsgruppe »Kulturen des Wahnsinns. Schwellenphänomene der urbanen Modern (1870–1930). Seine Arbeitsgebiete sind u. a. Lyrik, Literatur des Barock, akustische Medien und Psychiatriegeschichte.

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Beispiele zu geben ist eine fundamentale und unverzichtbare Praxis wissenschaftlicher Diskurse. Höchst unklar aber ist ihr theoretischer Status: In Hinblick auf allgemeine Gesetzmäßigkeiten, Begriffe und Sachverhalte scheint das Beispiel sekundär und austauschbar zu sein. Andererseits kann ein ›schlagendes‹ Beispiel ganze Argumentationen zu Fall bringen. Es ist Moment einer Praxis, die ihrerseits zu vertraut und zu verstreut ist, um selbst auf den Begriff gebracht werden zu können. Wissenschaft und Philosophie sind weitgehend blind für ihren Beispielgebrauch geblieben. Erst in jüngster Zeit wird dem zeitgenössischen Denken deutlich, dass mit dem Beispiel etwas auf dem Spiel steht. Im Anschluss an diese Erkenntnis fragen hier Forscher unterschiedlicher Disziplinen, jeweils von einem Beispiel ausgehend, ob und wie eine Diskursanalyse und damit eine Wissenschaft des Beispiels möglich ist. Es handelt sich um Vorarbeiten und Überlegungen zur Datenbank ›Archiv des Beispiels‹, die der systematischen Erfassung und Erforschung aller Beispiele dient.

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